Jul 22, 2024

Ageism – wie Altersdiskriminierung Frauen trifft

Als ich unlängst die neue Mode-Kampagne der zurückgekehrten Designerin Phoebe Philo gesehen habe, habe ich mich gefreut: Eines der neuen attraktiven Gesichter der Kollektion ist das galizische Model Laura Ponte. Die 50-Jährige wird ohne Retusche oder künstliche Verschleierung ihres Alters gezeigt – und setzt damit in der jugendfixierten Modewelt unweigerlich ein Statement für Diversität.

Das Traurige daran ist und bleibt, dass es noch immer eine große Sache ist, wenn bekannte Marken für ihre Kampagnen Frauen über 40 wählen. Laura Ponte selbst gibt sich gelassen: »Man muss die Vergänglichkeit der Zeit akzeptieren, man darf sie nicht ablehnen, sondern sollte sie mit allem lieben. Das Altern ist etwas, auf das wir uns freuen können.«

 

 

Wer nicht altern will, muss jung sterben, pflege ich immer zu sagen. Und letzteres ist ja keine Option. Dafür ist das Leben viel zu schön. In der Modewelt jedenfalls lässt sich ein Bemühen feststellen, in jeder Hinsicht mehr Vielfalt zu zeigen und im Hinblick auf Gewicht, Größe oder Herkunft diverser zu werden. Von einem wirklichen Paradigmenwechsel sind wir aber weit entfernt. Ich bin mir manchmal nicht sicher, ob nicht ein gewisses Kalkül dahintersteckt, sich bewusst von den althergebrachten Körperidealen zu entfernen. Vielleicht, weil es gerade im Trend liegt, divers aufzutreten oder die angesprochene Zielgruppe sich damit besser identifizieren kann. Von einem großen Umsturz in Sachen Altersdiversität kann im Moment jedenfalls nicht gesprochen werden – das zeigt schon die Aufmerksamkeit, die der »Sonderfall« Phoebe Philo bekommt.

 

Was bedeutet Ageism genau?

Ageism, also eine Diskriminierung wegen des Alters, kann jeden treffen. Damit ist nicht »Altendiskriminierung« gemeint. Ein Beispiel für Ageism wäre auch die Aussage, dass alle Teenager ‚dumm, frech und faul‘ sind. Oder dass Frauen ab 40 keine Miniröcke mehr tragen sollten. Fakt ist: Besonders häufig sind Frauen betroffen, indem noch andere Diskriminierungsformen wie Objektifizierung und Sexismus hinzutreten.

 

Die unterschiedliche Sicht auf Frauen und Männer

Womit wir beim Thema wären: Frauen werden häufiger wegen ihres Alters negativ bewertet als Männer. Männer werden in ihrer Jugend und Sturm-und-Drang-Phase als Hoffnungsträger der Gesellschaft wahrgenommen und kommen, wenn sie es wollen, schneller in gehobene Positionen. In den mittleren Lebensjahren steigt ihr Gehalt proportional höher, weil sie ja, wie man sagt, Familien damit ernähren. Der sog- »reife« Mann mit Salt-und-Pepper-Haaren oder grauen Schläfen steigt sogar zum Sexsymbol auf, das neben Attraktivität auch noch Macht ausstrahlt. Ich spitze bewusst etwas zu, um eines deutlich zu machen: Die Wahrnehmung des Mannes ist unabhängig von oder gerade wegen seiner fortgeschrittenen Lebensjahre durchweg positiv konnotiert.

 

 

Bei Frauen sieht das anders aus. Verkürzt kann man sagen, dass Frauen nie im richtigen Alter sind. Man nennt das den »Never-right-age-bias«. In ihren 20er Jahren machen weibliche Personen keine Karriere und erhalten von vornherein weniger Gehalt, weil sie zukünftig Kinder bekommen könnten. Oder schlicht, weil sie als zu jung angesehen werden, um Verantwortung zu übernehmen. Wenn sie als hübsch wahrgenommen werden, werden sie zusätzlich zum »schmückendes Beiwerk« degradiert und die Kompetenz tritt in den Hintergrund. In den 30ern, falls sie Kinder haben, Care-Arbeit leisten und in Teilzeit arbeiten, bleiben deswegen bestimmte Türen zu. Ab Mitte 40 gelten Frauen dann als zu alt für fast alles, im Business auf Basis ihrer Erfahrung als zu »dominant« – und on top noch als äußerlich nicht mehr ganz frisch, verwelkt und unattraktiv. Dann können sie fast nichts mehr richtig machen. Kleiden sie sich modisch, wird die Nase gerümpft von wegen, ist das noch altersgemäß? Tun sie es nicht, sind sie altbacken.

 

 

Ich habe mich schon oft gefragt, was eigentlich los ist in unserer modernen Gesellschaft, dass Frauen mehr oder minder bewusst so häufig über ihre Gebärfähigkeit identifiziert und bewertet werden. Erwachsene Frauen werden – je nach sozialem Umfeld und vorherrschendem Weltbild der Community – bis zu einem gewissen Alter immer mit der gleichen Frage konfrontiert: »Und, wann willst du Kinder?« Ganz zu schweigen von kinderlosen Frauen im mittleren Lebensalter, die man auch wieder fragt: »Wieso hast du eigentlich keine Kinder?«. Dabei sind Frauen so viel mehr als nur gute Mamas. Es lässt sich nicht wegdiskutieren, dass der Wert der Frau an der Fruchtbarkeit bemessen wird. Altersdiskriminierung gegenüber Frauen scheint also durchweg eine stark biologistische und sexistische Komponente zu haben.

 
Die Folgen

Es ist ein offenes Geheimnis: Frauen werden mehrfach diskriminiert, indem sie beispielsweise einem höheren Alters-Armutsrisiko als Männer ausgesetzt sind oder indem sie sexistisch beleidigt werden. Schauspielerinnen beispielsweise kämpfen schon ab Mitte 30 mit fallenden Gagen, während ihre männlichen Kollegen im Alter von 52 am besten verdienen. Während Frauen in jüngeren Jahren oft als ungeeignet diskreditiert werden, Verantwortung zu übernehmen, oder rein auf ihr Äußeres reduziert werden, kommt später eine Benachteiligung aufgrund der sichtbaren Zeichen des Älterwerdens hinzu. Auch dafür gibt es einen Begriff: »Age-Shaming«. Ganz offensichtlich sind Alterserscheinungen bei Männern nicht so negativ belegt. Im Schnitt berichten zwei von drei Frauen im Alter von 50 plus, dass sie regelmäßig diskriminiert werden. Women and Hollywood hat berichtet, dass 2021 in nur 7 der 100 umsatzstärksten Filme eine Frau im Alter von 45 Jahren oder älter besetzt wurde. Frauen werden mehr als ihre männlichen Kollegen an Standard-Schönheitsnormen gemessen. Grauhaarige Männer gelten als begehrenswert; graues Haar bei Frauen wird als Insignium des Verfalls gewertet – weshalb die Friseur-Studios, Schönheitssalons und -kliniken vollsitzen mit Frauen, die ihre »grauen Verräter« verstecken, ihre Brust straffen oder ihre Haut mit Botox glätten wollen.

 

Ich habe noch Niemanden im Kontext mit einem Mann sagen hören, dass dessen »biologische Uhr« tickt – obwohl auch Männer mit Veränderungen des Körpers und des Hormonhaushaltes, ihrer Midlifecrisis und einem Wechseljahre-Pendant zu tun haben. Frauen neigen viel stärker dazu, Dinge zu sagen wie »Ach, ich bin jetzt in den mittleren Lebensjahren, ich starte beruflich nicht mehr durch.«, oder »Ich fange dieses oder jenes nicht mehr an.«. Auch hier wieder der deutliche Unterschied zu Männern, die eher davon ausgehen, genau jetzt die Welt erobern und noch mal richtig auf die Pauke hauen zu können.

Woher diese Diskrepanz kommt? Ageism beeinflusst das Selbstbewusstsein von Frauen negativ, so dass sie das Gefühl haben, nicht mehr genug Wert zu besitzen. Das ist ein gesellschaftliches Thema, das eng mit tradierten Rollenbildern rund um Gebärfähigkeit als Wert an sich und Fürsorge-Pflichten zusammenhängt – und kein Einzelfall. Altersdiskriminierung und Frauenfeindlichkeit hängen eng zusammen.

»Frauenkörper werden ja ständig bewertet. Da kommt auch die biologisch tickende Uhr mit rein. Wir gucken auf so ein bestimmtes Alter und sagen: Ab dann lohnen sich viele Dinge nicht mehr.«

_Anika Landsteiner, Autorin und Journalistin

 

Die Sache mit dem »Unsichtbar-werden«

Warum werden Frauen so anders gesehen als Männer? Oder besser, nicht mehr gesehen. Frauen in den mittleren Lebensjahren beklagen oft, dass sie das Gefühl haben, »unsichtbar« geworden zu sein. Damit meinen sie, von Männern nicht mehr wahrgenommen zu werden. Wenn sie ein Restaurant beträten, drehe sich niemand mehr nach ihnen um. Und ich glaube tatsächlich, dass das so ist. Wer nicht mehr ausstrahlt, fruchtbar zu sein, fällt schlichtweg durch den Filter des männlichen Scans. Der bereits verstorbene französische Designer André Courregès soll geäußert haben, jede Frau über 40 solle sich erschießen. Gleichaltrige Männer hingegen fühlen sich in diesen Lebensjahren oft am begehrenswertesten.

 

 

Was sich daraus lesen lässt, ist, dass der sog. »Männliche Blick« immer noch ein hohes Maß an Definitionshoheit genießt. Je stärker also eine Frau für ihr Selbstwertgefühl auf die Resonanz beim anderen Geschlecht angewiesen ist, desto anfälliger ist sie. Fällt der männliche Applaus weg, fängt sie an, sich unbewusst zusätzlich selbst abzuwerten – und zu der äußeren Diskriminierung tritt noch eine innere. Das ist ein schwieriges Thema, denn ich kenne viele tolle Frauen, die sich bei Kleidungs- oder Stilfragen selbstverständlich nach den Vorlieben ihres Partners richten. Und ihn zum Maßstab für Entscheidungen machen. Bis zu einem gewissen Grad mag das in Ordnung sein, schwierig wird es dann, wenn die eigene Wahrnehmung oder der eigene Geschmack dem des Mannes untergeordnet wird. Ich finde es interessant, dass selbst heute noch die Idee kursiert, dass »Frau« sich Liebe und Zuneigung durch jugendlich-körperliche Attraktivität oder mütterliche Fürsorge verdienen könne. Diese Haltung führt unweigerlich in die Katastrophe. Es ist ein gefährlicher Weg, das Äußere zum alleinigen Mittel der Selbstdefinition zu etablieren: straffe Brüste, festes Bindegewebe, volles Haar, glatte Haut und eine schlanke Figur sind keine Allheilmittel. Und vor allem sind sie bis zu einem gewissen Grad vergänglich. Denn wir alle verändern uns im Laufe der Zeit unweigerlich – Männer wie Frauen. Je ausschließlicher der Selbstwert von einer guten Figur und einem glatten Gesicht abhängt, desto schwerer fällt es, natürliche und völlig normale Alterungsprozesse zu akzeptieren.

 

 

Ähnliches kann passieren, weil sich vor allem ab Mitte 40 die Lebensumstände ändern – die Kinder werden flügge und ziehen aus, der Partner geht wieder stärker eigenen Interessen nach und das Körpergefühl kann sich im Rahmen der Menopause temporär verschlechtern. Deshalb ist es so wichtig, sich des eigenen Wertes bewusst zu sein und ihn nicht an äußeren Umständen festzumachen. Sondern sich als Frau klar zu machen, dass wir so viel mehr sind als unsere Rolle als Mama, als unser Job oder unser attraktives Äußeres. Nämlich eine Persönlichkeit, ein einzigartiger Mensch mit Stärken und Schwächen. Und dass Veränderung ein Teil des hoffentlich langen, gesunden und glücklichen Lebens ist. Viele Frauen stellen sich – vielleicht ähnlich wie in der Pubertät – noch einmal ganz grundsätzliche Fragen. Das ist ein Prozess, mit dem auch Männer zu hadern haben. Nur, dass sie dafür nicht belangt werden. Für sie scheint es kein gesellschaftliches Verfallsdatum zu geben, ihnen wirft Niemand vor, nicht mehr wie 20 auszusehen oder nicht mehr entsprechend fit zu sein. Glatzen und dicke Wohlstandsbäuche bei Männern werden nicht diskutiert. Häufig sind es genau diese Männer, die Frauen von oben herab betrachten, gleichaltrige Frauen als »hässlich« verunglimpfen oder sich berufen sehen, sich mit besonders jungen Frauen zu umgeben.

 

»Ihre Eierstöcke überlebt zu haben, bedeutet vielleicht wirklich, daß sie ihre Nützlichkeit als menschliches Wesen überlebt haben. Die restlichen Jahre sind für sie vielleicht nur ein Auf-der-Stelle-Treten, bis sie ihren Drüsen in die Vergessenheit nachfolgen.«_David Reuben, Psychiater, Autor, 1972

Du siehst aber gut aus – für dein Alter

Ageism kennt so viele Spielarten. Offensichtlichere und subtilere. Dazu gehören für mich ganz klar die Style-Ratgeber für Frauen ab 40, ab 50 etc. Dort finden sich gutgemeinte Tipps, was Frauen in einer bestimmten Dekade ihres Lebens nicht mehr tragen sollten. Statt auf die Individualität einzugehen, werden Ratschläge erteilt, wie »Frau« sich möglichst geschickt immer mehr verhüllen sollte. Diskriminierung pur!

Auch zu sagen, dass eine Frau »für ihr Alter gut aussieht« ist nicht bloß ein vergiftetes Kompliment, sondern eine echte Beleidigung. In die gleiche Kategorie fallen Aussagen wie »Sie altert wie ein guter Wein« oder »Ich dachte, du wärst jünger.« Das Heimtückische daran ist nämlich, dass diese Aussagen an Schönheitsideale und an das Alter gebunden sind – und das alles tut nichts zu Sache: »Du siehst gut aus.« – das ist das einzig wahre Kompliment. Und das dürfen wir Frauen uns auch gern mal gegenseitig zurufen.

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Meine Liebe zu Mode und Kommunikation hat mich zu Ana Alcazar gebracht – als Texterin & Konzepterin in der klassischen Werbung groß geworden, schreibe ich seit fast 10 Jahren für unser Münchner Designerlabel. Im Redaktionsteam bin ich für alle Corporate-Themen zuständig, außerdem befasse ich mich hier mit aktuellen Trends & meinem Herzensthema Gleichberechtigung,

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